Luther und (das) Ich

VON Dr. Wolf SiegertZUM Donnerstag Letzte Bearbeitung: 22. Januar 2024 um 13 Uhr 52 Minuten

 

Im PS-Vermerk des Beitrages Klausur, Tag 19 (Digitalisierung! Was kommt dann?) wurde erstmals auf die Bedeutung der Rolle Luthers hingewiesen. Und wird hier im Zusammenhang mit dem Buch über die Herausforderung(en) in der postdigitalen Zeit verstärkt aufgegriffen werden in Bezug auf die zu seiner Zeit neue Sicht auf die Verantwortung des Einzelnen, des Individuums gegenüber Gott.

Im Verlauf vieler Gespräche traf immer wieder die Frage auf, ob dann nicht auch die "KI" "Gott" sein / zum "Gott" werden könne. So absurd diese Reaktion vielleicht auch zunächst klingen mag, indiziert sie doch die Bestätigung, hier auf ’des Pudels Kern’ gestossen zu sein.

Aber langsam: Zunächst zitieren wir einige Stellungnahmen zu diesem Thema, die mit Beginn des Jahrs 2024 hier im Verlauf des aktuellen Medienkonsums eingetroffen sind:

Identität mit dem Ich, Harry Groenert, dessen hier als PDF [1] wiedergegebene Aussagen mit einem Zitat von Nora Bateson endet, das da lautet:

ich bin, wer ich bin, durch das, was ich weiß. Aber die Klarheit dessen, was Wissen ist, ist fraglich.“

Aussagen dieser Art lassen sich auch an vielen anderen Stellen wiederfinden, in denen auf die Vorläufigkeit von Kenntnis und Erkenntnis verwiesen und dazu aufgefordert wird, sich auch mit Positionen, ja vor allem auch Emotionen Anderer auseinanderzusetzen, denen man nicht sofort folgen würde - in dem man ihnen zumindest zunächst einmal zuhört. Eine Position, die schon vor längerer Zeit in einem Radio-Interview mit dem BR vertreten wurde [2]. Und gerade in diesem Tagen, konkret am 7. Jänner 2024 in einem Gespräch von Simone Miller (DlF-Kultur) mit Jürgen Wiebicke (WDR) zum Thema: Kriege, Krisen, Katastrophen – Wie zuversichtlich bleiben? erneut betont wurde.

Dieses, so wird von dritter Seite betont, sei überhaupt ein der ganz wenigen, ja vielleicht sogar die einzige Möglichkeit, mit jenen im Dialog zu bleiben, deren politischen und moralischen Einstellungen nicht nur nicht teilen könne, sondern ablehne.

Auf der anderen Seite wird betont, dass es zu den grossen Errungenschaften und Fortschritten in der journalistischen Arbeit gehören, dass es inzwischen immer mehr und immer besser ausgestattete Faktenchecker gäbe, die diese Arbeit auch von Berufs wegen ausüben können. Und dass es Rechercheteams gäbe, die auch übergreifend zwischen den ’Privaten’ und ’Öffentlich-Rechtlichen’ arbeiten würde, national als auch international.

Auf der einen Seite werden gerade jetzt wieder Kant - zum Dreihundertjährigen [3] - und Habermas - wie in dem hier benannten Gespräch - von Menschen erwähnt, die deren Zitate auf den Lippen tragen, und doch zugleich anerkennen, dass es schon heute eine allfällige Wahrheit sei, dass diese traditionell gewachsenen Werte immer weniger Einfluss haben auf die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen.

Und nicht nur das, wir haben gerade erst auf eine Äusserung des Chief Technology Officers and Head of Reality Labs des META-Konzerns, Andrew Bosworth verwiesen, der pro domo am 18. Dezember 2023 in "Living in the Future" davon spricht, dass er das Streben nach der Wahrheit, die Suche nach dem Original, nach dem menschlichen Ursprung von Erkenntnis für eine historisch nur sehr peripher valente Entwicklung hält... die in Zukunft sehr viel effektiver (s)einem Rechner überantwortet werden könne.

Was für ein Konflikt: Auf der einen Seite sind die mathematisch-technischen Agenten in der Lage, immer genauer auf das jeweilige potenzielle Bedarfsprofil einer Nutzerin, eines Nutzers einzugehen. Auf der anderen Seite aber die Aufforderung von hier kursorisch zitierten gesellschaftlichen Instanzen der Aufklärung, eben dieses eigen-willige "Ich" diesen virtullen Agenten entgegenzusetzen. Und das wohl wissend, dass diese eigene "ich" weniger zu wissen scheint als eben diese!

Wobei wir schon, ohne es gemerkt zu haben, bei der Spezies eines sogenannten Universalgenies angelangt sind, wie es noch ein Leibniz hat werden können. Jetzt fehlt nur noch, wenn die Entwickler bei Fraunhofer die Chuzpe hätten, den Prototypen ihres nächsten Quantencomputer s "Gottfried" zu nennen...

Anmerkungen

[1

[2Am 3. März 2021 ab 21:05 Uhr auf Bayern 2 im "Dossier Politik" zu dem Thema / zu der Frage: Fake News und Verschwörungsmythen - Hilfe, wie aus der Bubble rauskommen?

Nicht erst seit Corona haben Verschwörungen und Fake News Hochkonjunktur. Aber was macht es mit Freundschaften, wenn der eine denkt, man lebt in einer Diktatur? Wie geht man mit Menschen um, die schon zu weit abgedriftet sind? wie hört man Menschen zu, die die Realität infrage stellen oder sogar leugnen?

Hier dazu ein kurzer Ausschnitt mit der Anmoderation von Nina Landhofer und einem Beitrag von Jonathan Schulenburg mit Interviews mit Jacob Dermühl in München und dem Autor in Berlin:

[3ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo schreibt in seinem Newsletter vom 3. Januar 2024 gleich zur Eröffnung

Lieber Herr Siegert, [...]
Der große Philosoph Kant lebte in Zeiten von Kriegen und Revolutionen. Trotzdem war er sich sicher: Frieden ist machbar. Deshalb ist er heute gefragt wie nie.


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