Work-Life-Balance: konkret & hautnah

VON Dr. Wolf SiegertZUM Mittwoch Letzte Bearbeitung: 13. September 2023 um 23 Uhr 33 Minutenzum Post-Scriptum

 

Dieser Tag war von vielen unvorhergesehenen Ereignissen geprägt, die letztlich aber zu den Wichtigsten gehörten, was an diesem Tage geschah.

Auf dem Rückweg ins Büro, wenige Meter vor der Haustür, von einem so prasselnden Regenguss überrascht, dass es notwendig war, sich unter dem Baldachin eines Obstgeschäftes unterzustellen, das letzten November in einen ehemaligen Fahrradladen eingezogen war. Alsbald kommt es zu einem Gespräch mit einem der beiden Inhaber. Er hat eine selbst gedrehte Zigarette in der Hand, zündet sie aber nicht an. Stattdessen reden wird miteinander. Er berichtet, im Verlauf eines längeren Gesprächs, davon, dass es ihm und seinem Partner seit dieser Zeit bereits gelungen sei, diesen Laden auf eine wirtschaftlich solide Basis zu stellen. Ein Gespräch mit vielen weiteren Themen, das sich weit über die Zeit des Regengusses hinaus erstreckt.

Dieser Begegnung voraus ging ein Besuch in der KFZ-Werkstatt meines Vertrauens. Diese wird nach dem urplötzlichen Tod des Werkstattmeisters von seinem Sohn fortgeführt, der selbst keinen Meisterbrief hat. Ihn anzustreben, so berichtet er heute, das würde einen fünfstelligen Euro-Betrag erfordern, ein Jahr Vollzeit in der Ausbildung, oder drei Jahre in der Abendschule. Was aber von ihm als Vater von zwei kleinen Kindern - der Grössere wurde gerade erst in diesem Jahr eingeschult - nicht geleistet werden kann.

Jetzt aber sei es zumindest gelungen, dass er - nach einer neunstündigen Prüfung an seinem Arbeitsplatz - durch die Innung die Anerkennung erhalten habe, dass er in der Lage und qualifiziert sei, all jene Arbeiten durchzuführen, die man zu bewältigen in der Lage sein müsse, als ob man einen Meister gemacht hätte. Mit diesem existenziell wichtigen Resultat sei es nun möglich, in die Handwerksrolle eingetragen zu werden. Hätte er diese Prüfung nicht bestanden - und eine Wiederholung wäre wohl gar nicht möglich gewesen - hätte er den Betrieb schliessen müssen.

Ein drittes Gespräch mit einem befreundeten Mitarbeiter der BMW-Motorradwerke macht klar, welchen Vorteil es hat, in einer sicheren - und nach so vielen Jahren faktisch unkündbaren - Stellung beschäftigt zu sein.

All diese Gespräche stehen im Schatten einer - wenn auch noch nicht offiziellen - Nachricht, dass voraussichtlich die für dieses Wintersemester avisierten "Design-Thinking"-Kurse an der Hochschule wegen zu geringer Anmeldezahlen nicht durchgeführt werden könnten.

Und so war dies das letztlich dominierende Thema dieses Tages: Die Frage nach der und der Kampf um die Existenzsicherung.

P.S.

Hinzu kamen weitere Gespräche:
> mit einem Freund, der sich als Researcher, Datenanalyst und Sicherheitsexperte über Wasser zu halten bemüht
> mit einem guten Bekannten, der aus eigenem Willen aus einem C-Level-Job bei einem grossen deutschen eigentümergeführten Verlagshaus ausgestiegen war und jetzt Zeit, Musse und auch ausreichend Geld hat, sich auf eine neue Aufgabe vorzubereiten
> mit zwei Zahnärzten, die entgegen ihrem Streben die Praxis aufgeben müssen, worüber bereits am Tag zuvor berichtet worden war.

Also im Brennglas kürzester Zeit ein beeindruckender Querschnitt durch diverse existenzielle Herausforderungen in dieser (unserer?) Gesellschaft. Und es war gut, sich die Zeit für diese Gespräche genommen zu haben, auch wenn das Zeitdefizit nach der Corona-Erkrankung ein derzeit besonders grosses und drohendes ist.

WS.


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